Für Fixe: Bochum gewinnt das erwartete Schweinespiel in Wanne durch eine starke Deckungsleistung und einen treffsicheren Rückraum.
So pünktlich wie unsicheres Wetter im April und verlässlich wie die Lauffaulheit eines Handballtorwarts in der Vorbereitung schlägt der unerbittliche Spielplan der Kreisklasse auch dieses Jahr wieder zu – Auswärtsspiel in Wanne, Sonntagsmorgens 11:15. Kaffeeinfusionen im Hektoliterbereich – immerhin hat sich dieses Jahr niemand seine eigene Kaffeetasse an die Wurfhand getackert – und mit meterweise Tape mühsam aufgehaltene Augenlieder begrüßen die geschätzten Mannschaftskollegen vor dem Parkplatz im Sportpark Wanne, einer Halle mit dem Charme und der Anmutung eines Audimax. Auf dem Lehrplan heute Gastdozent Stroop, Aufbauseminar Auswärtssieg in der Vorlesungsreihe Saisonendspurt im Vertiefungsfach Schweinespiele. Tutoriumsleiter Lars Sikorski hat sich im Dienste der Wissenschaft zu einer Fortbildungsreise zum Final Four nach Köln verabschiedet, um „mal richtigen Handball“ zu sehen. Auch ohne den flüchtigen Co-Trainer wird es für die Mannschaft des VfL jedoch schwer genug, die für die Vorlesungsreihe notwendigen Punkte zu sammeln.
Schließlich verkompliziert die Anwesenheit einer anderen Mannschaft auch den Handballsport erheblich und der DSC aus Wanne ist nicht für besondere Gastfreundschaft auf der Platte bekannt. Um es positiv auszudrücken: Bei aller Animosität in den 60 Spielminuten ist das schöne an den Mondstädtern, dass die den Handballsport mit der notwendigen Ernsthaftigkeit angehen, frei nach dem Liverpooler Trainer Bill Shankly: „Manche Leute denken, dass Handball eine Sache von Leben und Tod ist. Ich mag diese Einstellung nicht, denn ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist“. Daraus schöpft der Gastgeber die bemerkenswert nervige Eigenschaft, sich wie ein Terrier bis zur letzten Sekunde in den Hacken des Gegners zu verbeißen. Andere Teams lassen bei klarem Rückstand in den Schlussminuten schonmal etwas austrudeln, Wanne nicht.
Für den VfL, der erneut mit voller Kapelle angereist ist, sieht das Curriculum am Sonntag neben dem schon in die Großhirnrinde gemeißelten Fokus auf Tempospiel eher eine Übung in mentaler Stärke vor. Der Fokus auf die eigene Stärke und das eigene Spiel muss über 60 Minuten hochgehalten werden. Angepeitscht von Kraftwürfel Corny geht es in das vorletzte Auswärtsspiel der Saison.
Mit dem Anpfiff ist dem VfL die frühe Anwurfzeit anzumerken. Erste Fehlpässe und überhastete Anspiele im Angriff und eine behäbige Abwehr hinten kann der DSC nicht bestrafen, weil der Knorrwart zwischen den Pfosten die gute Form der Derbywochen konservieren kann und in den ersten Minuten mit einem parierten Strafwurf die erste Duftmarke setzt. Dann ballert Springfloh Leo den Sand aus dem Getriebe, mit zwei Krachern aus dem Arm von Max „Happy“ Lorenz und einem souverän versenkten Strafwurf vom ewigen Max Birkemeier macht nach dem holprigen gerade die linke Angriffsseite ordentlich Palaver. Das 3:7 nach 12 Minuten zeigt einen VfL, der sich berappelt hat, gerade in der Deckung aber ordentlich arbeiten muss. Die nächsten zehn Minuten gehören den in schwarz-gelben Signalfarben aufgelaufenen Gastgebern, ein 6:1-Lauf, der Stroop-Sieben fehlt so ein wenig die Schärfe, der Schneid. Gerade die Deckungshärte kann mit der körperlichen Präsenz des DSC noch nicht komplett mithalten. Von der Bank verschafft Gordon Kempkes, heute ungewohnt am Kreis, dem Knihser eine erste Verschnaufpause und verkraftwürfelt zum Einstand direkt mal den zwei Köpfe größeren und gefühlt doppelt so breiten Kreisläufer der Gegner. Dieses Feuer in den Augen und die Intensität, die Corny in der Deckungsmitte aufs Parkett brennt, küsst die eingeschlafenen Bochumer langsam wach. Einige Paraden liefert der Schnapper, hinten gelingen wichtige Steals und vorne führt Zaubermaus Alex Cousen nicht nur raffiniert Regie, sondern zeigt sich auch selbst torgefährlich. Kleinigkeiten wie die Kreisallergie von 3-Minute-Mark Stinn können den VfL nicht bremsen, zur Pause steht im Zwischenzeugnis: Gut mit Abstrichen, 9:13 für den VfL.
In der Kabine herrscht trotzdem nicht heiter Sonnenschein. Auch der 5:0-Lauf zum Ende der ersten Hälfte kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bochum sich in manchen Situationen den Schneid abkaufen lässt. Dass muss in der zweiten Hälfte besser werden, denn in Wanne muss das Spiel bis zur letzten Sekunde gespielt werden. Knorrwart David fasst es treffend zusammen: Zeigt denen, dass Bochumer Stahl härter ist als Wanne.
Aus der Pause kommt die Bande angespitzt und im Brecher-Modus. Erst wird die Happy’sche Unterarmkanone durchgeladen und dem Torwart ein neuer Scheitel geschossen, bevor der VfL Papiere druckt, ordnungsgemäß stempelt und zweimal den erst vor einigen Wochen aus dem Ausland zurückgekehrten Leo Hardam auf die Reise per Gegenstoß schickt. Bochums Linksaußen bleibt humorlos, 127 Sekunden nach der Pause steht es 9:16. Wer sich erhofft hat, dass der furiose Auftakt in die Halbzeit den Ton für den Rest der Partie setzten wird, kennt den VfL aber schlecht. War es in der ersten Halbzeit die etwas löchrige Deckung, streckt in der zweiten Hälfte das hässliche Gespenst der Abschlussschwäche sein lange vergessenes Gesicht wieder hervor. Im Gegensatz zu frühen Saisonspielen ballert Bochum aber nicht den gegnerischen Torwart zum Helden, sondern wählt immer wieder zu frühe und zu schlecht vorbereitete Würfe mit wenig Kontakt, den die in ihrer Linie konsequent großzügigen Schiedsrichter nicht pfeifen. Über 12:16, 12:18 und 16:20 kann die Truppe aus der schönsten Stadt im Ruhrgebiet den Abstand konstant halten, bis es 11:30 Minuten vor dem Ende zur Auszeit dröhnt. Beide Mannschaften stimmen sich auf einen engen Endspurt ein, in dem der Gastgeber bis auf 18:21 herankommt und beim Strafwurf die Chance hat, endlich wieder auf zwei Tore zu verkürzen. Für den Knorrwart, der das hohe Startniveau nicht die ganze Spieldauer konservieren konnte, steht jetzt Fabi Gohl zwischen den Pfosten und guckt den Siebenmeter erstmal routiniert am Tor vorbei. Sascha Behnke gelingt das 18:22, das letzte VfL-Tor des Spiels und in den letzten Minuten muss Bochum doch wieder zittern. Ein zu ambitionierter Gegenstoßpass, eine rote Karte für den Knihser, der seinem Gegenspieler zärtlich die Wange tätschelt, das 20:22 kurz vor dem Ende – am Schluss bringt der VfL seinen Vorsprung über die Zeit und gewinnt das Auswärtsspiel in Wanne knapp, aber verdient.
Puh, da hat sich Bochum seine Abschlussnote mit der Schlussviertelstunde aber noch einmal ordentlich versaut. Unterm Strich reicht in einem durchschnittlichen Spiel ein starker Zwischenspurt von Minute 20 bis 40, um Wanne zu schlagen, mehr als eine gesunde Drei – bleibt aber nicht bestehen. Aus 3.600 gespielten Sekunden im Audimax Wanne-Eickel sind es vor den drei schönsten Fans im ganzen Kreis Industrie doch drei Schlüsse, die Bochum ziehen kann.
Erster Takeaway: Wanne ist immer noch das wahrscheinlich handballerisch unangenehmste Spiel der Saison – ein körperlich präsenter und bissiger Gegner mit Wadenbeisserqualitäten und eine Anwurfzeit, in der mancher Bochumer die Sonne am Sonntag selten sieht. Dass der VfL in einem solchen Spiel nicht über 60 Minuten seine beste Saisonleistung abliefern kann, ist verständlich.
Zweiter Takeaway: Dass in einem solchen Spiel immer wieder die individuelle Klasse auf allen Positionen die Bochumer voranbringen kann, aber kein Spieler über mehrere Wochen absolut heraussticht, ist eine mehrfach bestätigte und wichtige Tugend, auf die der VfL sich verlassen kann. Der Star ist und bleibt die Mannschaft und mit diesem Selbstverständnis und dieser mannschaftlichen Geschlossenheit muss die Bande Bochumer Buben auch die letzten 180 Handballminuten der Saison angehen.
Nach der Osterpause kommt die Zweitvertretung von Westfalia Scherlebeck nach Bochum, trotz der momentanen Schwächephase der Gäste muss der VfL aus Bochum auch in diesem Spiel voll da sein. Anwurf im Lohring ist am 26.04. um 19:00.
Den Spruch des Wochenendes liefert Mottek Matthi schon am Donnerstag, natürlich im Kontext, wie geil Handballspielen beim VfL aktuell so ist (und macht): Mich fragt auch ständig jemand, warum ich keinen Ständer habe.
Spieler des Spiels wird in Abwesenheit des schon ins Osterwochenende gehüpften Springflohs Leo Max „Happy“ Lorenz, der neben vier Granaten im Angriff auch in der Deckung unverzichtbar ist.

Für den VfL ihr Mondstädter Kryptonit überwunden haben: David Knorr (TW), Fabi Gohl (TW), Max Birkemeier (3), Alex Cousen (3), Dejan Sebesic, Sascha Behnke (3), Mark Stinn (1), Max Lorenz (4), Sebastian Knihs (1), Gordon Kempkes, Leo Hardam (6), Jonas Knaust, Matthias Plewnia (1), Jannik Kocian.